verabschiedet am 19. Juli 2012
Die Elbe ist der letzte noch relativ naturnahe Strom in Deutschland. Sie darf auf 600 Kilometern ungestaut fließen. Die größten zusammenhängenden Hartholzauenwälder Deutschlands wachsen hier. An ihren Ufern sind noch helle Sandstrände zu finden. Die Kultur- und Naturlandschaft ist einzigartig in Deutschland. Darum setzen sich seit Jahrzehnten Umweltverbände, evangelische Landeskirchen längs der Elbe, Bürgerinitiativen und Anwohner vehement für den Erhalt gerade dieser einzigartigen Flusslandschaft ein. Wir fordern die verantwortlichen Ministerien der Länder und der Bundesrepublik Deutschland auf,dem Erhalt des Lebensraums Elbe die oberste Priorität vor anderen Zielen zu geben. Im Einklang mit der EG-Wasserrahmenrichtlinie und den Zielen von Natura 2000 ist ein guter ökologischer Zustand herzustellen. Maßnahmen zur Verbesserung der Schiffbarkeit der Elbe sind nur zulässig, wenn sie der oben genannten obersten Priorität nicht entgegenstehen. Kompromisse führten oft zu einer Verschlechterung der ökologischen Situation der Elbe, ohne dass ein entsprechender Nutzen für die Gesellschaft eingetreten ist.

  1. Das Tiefen-Ziel von 1,60 Meter muss nach 20 Jahren vergeblicher Bemühungen aufgegeben werden. Eine Fahrrinnentiefe von 1,60 Metern an 345 Tagen im Jahr zu gewähren, verlangt an der Elbe schwerwiegende Eingriffe, die mit den ökologischen Qualitätszielen unvereinbar sind. Im Schnitt wird an 3 – 4 Monaten im Jahr dieses Tiefen-Ziel nicht erreicht. Sich ständig verlagernde Sandbänke, stark schwankende Wassermengen und ausgeprägte lange Niedrigwasserphasen können nur begrenzt oder überhaupt nicht ohne Schaden für die Flussökologie durch technische Maßnahmen beeinflusst werden.
  2. Die Elbe als Wasserstraße ist unbedeutend – Baumaßnahmen blieben erfolglos Trotz kontinuierlicher und kostenintensiver Baumaßnahmen haben die auf der Elbe transportierten Gütermengen ein historisches Tief erreicht. Nur 0,5 % aller in Deutschland per Binnenschiff transportierten Tonnagen gehen über die Elbe. Die Verkehrsleistung in Tonnenkilometern liegt sogar nur bei 0,2 %. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Elbe für die Güterschifffahrt ist sehr gering. Sollten durch den angestrebten Vorrang der Umweltgüter dennoch nachweislich Härtefälle auftreten, sind Hilfen und alternative Konzepte für die wirtschaftliche Entwicklung erforderlich.
  3. Die Elbe und ihre Auen sind ein sehr bedeutender Lebensraum für Fauna und Flora Die Elbe ist ein vielfach geschützter Fluss. Fast auf ihrer gesamten Länge sind europäische Schutzgebiete ausgewiesen (FFH- und Vogelschutzgebiete). Ihre Flusslandschaft ist einer der Hot-Spots der Artenvielfalt. Immer mehr Menschen entdecken diese schöne Auenlandschaft. Der Flusstourismus wächst stetig und es entstehen Arbeitsplätze. Die Ökosystemdienstleistungen der Flusslandschaft sind hinreichend klar zu ermitteln, Konfliktbereiche herauszuarbeiten und in das Gesamtprogramm einzubauen.
  4. Der Stopp der Erosion der Flusssohle muss Priorität haben. Die Erosion der Flusssohle ist das größte Problem, die Schäden sind immens: Als Folge haben die Auen, das UNESCO-Welterbe Dessau-Wörlitzer Gartenreich und das UNESCOBiosphärenreservat Mittelelbe mit zunehmender Austrocknung zu kämpfen. Die negativen Folgen sind kaum umkehrbar und bedrohen nicht nur die beiden UNESCO-Gebiete, sondern auch die Land-, Forst- und Fischwirtschaft sowie die Trinkwasserbereitstellung. Durch die Verbauung der Ufer und Verstärkung der Buhnen wird dieser Prozess noch weiter beschleunigt. Die laufende anthropogene Geschiebezugabe reicht nicht aus. Der natürliche Geschiebeeintrag aus den Nebenflüssen muss wieder reaktiviert werden, Ufer sind zu entsiegeln, die Anbindung von Flutrinnen – da wo möglich – sollte verfolgt werden. Ökologische Maßnahmen müssen ergriffen werden. Alle relevanten Bundes- und Landesinstitutionen sowie Umweltverbände sollen fächerübergreifend in ein Sohlstabilisierungskonzept für die gesamte Elbe eingebunden werden.
  5. Zeit für Wiedergutmachung. Die Eindeichungen der Elbe haben der Bevölkerung ein hohes Maß an Hochwasserschutz gegeben und sicherten gleichzeitig die landwirtschaftliche Nutzung weiter Flächen. Andererseits ist die Ausdehnungsfläche des Flusses bei Hochwasser dadurch erheblich eingeschränkt worden, was höhere Wasserstände zur Folge hat und zum Verlust ökologisch wertvoller Überflutungsflächen und Auen führte. Seit dem Jahrhundert-Hochwasser 2002 wurden an der Elbe neue Deichrückverlegungsprojekte über insgesamt ca. 600 ha realisiert und weitere 800 ha sind in Umsetzung. Das ist, verglichen mit den Notwendigkeiten und Möglichkeiten, entschieden zu wenig. Durch Entsteinung der Ufer und Aufweitung des Flusses sowie durch Zulassen von Inselbildung sollen dynamische Lebensräume für flusstypische Vielfalt an Pflanzen und Tieren entstehen.
  6. Elbegesamtkonzept mit dem Vorrang für Umweltschutz Angesichts des Verhältnisses von ökologischer Bedeutung und volkswirtschaftlicher Bedeutung für den Güterverkehr ist eine Anerkennung der Priorität für Umweltschutzziele für jede Elbepolitik rational und unerlässlich.
  • Wir fordern eine Verkehrs-, Siedlungs- und Wirtschaftspolitik, die sich zu den Umweltschutzzielen bekennt und sie konsequent umsetzt.
  • Wir fordern eine Anpassung der verschiedenen Politiken an den ökologischen Bedarf der Flusslandschaft mit all ihren Komponenten.
  • Wir halten die Beteiligung der Bürgerinitiativen entlang der Elbe im Prozess der Ausarbeitung des Gesamtkonzepts für unabdingbar, da sie mit wesentlichen Beiträgen die Auseinandersetzung um die Zukunft der Elbe seit mehr als 15 Jahren unterstützen.

Wir erwarten von allen staatlichen Stellen, die mit dem Lebensraum Elbe befasst sind, den gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen sowie ein koordiniertes Vorgehen mit der Bereitschaft, die gesellschaftlichen Bedürfnisse möglichst weit an den ökologischen Bedarf des naturnahen Flusses anzupassen und dadurch langfristig der Schöpfung und damit auch dem Menschen zu dienen. Wittenberger Erklärung zur Elbe verabschiedet am 19. Juli 2012 Kontakt: Siegrun Höhne, Evangelische Akademie Wittenberg, Telefon: 03491/ 4988-46